Ein Bericht vom
von Klaus Erdmann, Lars Pingel und Daniel Niebuhr
Manfred Engelbart strahlte. Logisch, seit wenigen Minuten war er der 1. Vorsitzende eines Vereins, dessen Fußballer in die höchste deutsche Amateurklasse aufgestiegen sind. Während eines außerordentlichen Verbandstages des Niedersächsischen Fußball-Verbandes, zu dem sich 324 stimmberechtigten Delegierte in einer Videokonferenz getroffen hatten, war der Abbruch der Saison 2019/20 wegen der Corona-Krise beschlossen worden. Inhalt des angenommen Antrags, den das NFV-Präsidium gestellt hatte, war auch, dass Mannschaften auf Aufstiegs- und Relegationsplätzen in die nächsthöhere Liga aufrücken. Damit gelingt Atlas als Oberliga-Zweitem der Sprung in die Regionalliga. Acht Jahre von der Kreisklasse bis in die Regionalliga – das hatte einst nicht einmal der Bundesligist TSG Hoffenheim geschafft. Und doch, Engelbart fehlte etwas, um den historischen Tag vollends genießen zu können. "Man kann sich nicht so freuen, wie bei einem Aufstieg auf dem Platz. Die Fans fehlen einfach", sagte er. Der Atlas-Vorstand hatte den Verbandstag mit Teilen der Mannschaft unter Wahrung der geltenden Abstandsregelung in Susis Sportsbar an der Lethestraße verfolgt.
Im Anschluss an diesen virtuell durchgeführten außerordentlichen Verbandstag richteten neben dem SVA-Vorstand auch Erich Meenken, Vorsitzender des Kreises Oldenburg-Land/Delmenhorst, Klaus Panzram, Obmann des VfL Stenum, und Marco Castiglione, Abteilungsleiter beim TV Jahn Delmenhorst, den Blick nach vorne. Kritik an der Entscheidung äußerten sie nicht.
Der "neue" SV Atlas hat in den vergangenen Jahren regelmäßig für Euphorie auf und neben dem Rasen gesorgt. Außer den Aufstiegen feierte er Ende Mai 2019 den Erfolg im Landespokal der Amateure. Und eine Mannschaft des Vorgänger-Vereins hatte am 18. Juni 1976 mit 7000 Fans auf dem Marktplatz einen Oberliga-Aufstieg bejubelt und so für ein Erlebnis gesorgt, das im Stadion an der Düsternortstraße während der nun so leise beendeten Saison 2019/20 immer wieder mal Thema war. Atlas-Trainer Key Riebau, der das Amt zum Start der Spielzeit übernahm, hätte, wie Engelbart, den Aufstieg lieber dort perfekt gemacht. "Das einzige was noch geiler wäre, wäre der Aufstieg vor den Fans in den Relegationsspielen", sagte er am Samstag. Die hätten der Zweite der Oberliga Niedersachsen und der Drittletzte der Regionalliga Nord eigentlich bestritten, wenn der Spielbetrieb nicht als eine der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie am 12. März eingestellt worden wäre. Zu diesem Zeitpunkt war der SV Atlas Zweiter der Oberliga-Tabelle, Altona 93 belegte in der der Regionalliga Rang 16.
Vor 44 Jahren hatten sich die Delmenhorster übrigens in diesem Vergleich durchgesetzt. Ob es im Mai 2020 wieder dazu gekommen wäre, lässt natürlich nicht klären – allein der SVA hätte noch elf Partien austragen sollen. In der Saison 2020/21 gehören die Mannschaften aus Delmenhorst und Altona der Regionalliga Nord an, in der es 2019/20 keine Absteiger gibt. So werden in dieser Klasse 22 Teams vertreten sein, die zunächst in zwei nach regionalen Gesichtspunkten eingeteilten Staffeln antreten, ehe eine Meister- und eine Abstiegsrunde folgen. Riebau schaute unterdessen noch einmal zurück, um Komplimente zu verteilen. „Letztendlich waren wir uns ja schon sicher, dass es so kommen wird. Trotzdem ist das erste Gefühl nach der offiziellen Bestätigung ein sehr geiles", sagte er:
„Ich freue mich unheimlich für die Truppe und deren überragenden Leistungen, für die Verantwortlichen um den Verein und unsere Fans.“
Womöglich war beim SV Atlas, dessen zweite Mannschaft als Kreisliga-Meister (14 Siege in 14 Spielen) in die Bezirksliga aufgestiegen ist, die Spannung am größten, doch verfolgt wurde dieser historische Verbandstag in allen Vereinen des Fußballkreises. Der Antrag des NFV-Präsidiums wurde mit deutlicher Mehrheit angenommen. Von 291 abgegebenen Stimmen entfielen 265 (91,1 Prozent) auf ihn, teilte der Verband mit. Drei Delegierte enthielten sich, 23 stimmten dagegen. Das bedeutet den Saisonabbruch nach Quotientenregelung mit Auf- (Regelaufsteiger und Relegationsplatz) aber ohne Abstieg. Gewertet werden die Tabellenstände vom 12. März 2020. Alle ausstehenden Pflichtspiele – mit Ausnahme der Pokalspiele – werden abgesetzt, ergänzte der NFV. Weil es keine Absteiger gibt, bleiben unter anderem der TuS Hasbergen und der TV Falkenburg in der Kreisliga und der Delmenhorster TB in der 1. Kreisklasse. Der FC Hude II und der SV Achternmeer steigen aus dieser in die Kreisliga auf.
„Das Thema hat uns lange beschäftigt. Es ist aber zu einem guten Abschluss gekommen“, sagte Meenken, der an allen Tagungen des Verbandes teilgenommen hat. Er betonte, dass die Vereine nunmehr Planungssicherheit hätten. „Das Ergebnis ist aussagekräftiger, als es im Vorfeld erwartet wurde“, fügte er hinzu. Der Verbandstag habe einen zügigen Verlauf genommen. Er sei gut vorbereitet und professionell gewesen. Positiv sei auch, dass Einmütigkeit mit Entscheidungen des Norddeutschen Fußballverbandes herrsche.
Die Frage, wann die Saison 2020/21 beginnen wird, "konnte beim außerordentlichen Verbandstag natürlich noch niemand beantworten", erklärte der NFV. Dessen Präsident zeigte sich verhalten optimistisch: „Ich bin wirklich guten Mutes, dass die Monate der Ungewissheit bald enden werden und wir Fußball nicht nur im Training, sondern auch wieder unter Wettkampfbedingungen spielen können", sagte Günter Distelrath.
Engelbart gab derweil zu, dass er nervös gewesen sei, als er sich vor den Bildschirm setzte, auch wenn viele Anzeichen wie ein gleichlautender Beschluss des Norddeutschen Fußball-Verbands, der für den Spielbetrieb der Regionalliga Nord zuständig ist, oder eine Mehrheit für einen Abbruch während einer Abstimmung schon Ende April für die Annahme des Antrags sprachen. "Ich habe schon zu viel erlebt", erklärte Engelbart: "Sicher war ich mir erst in dem Moment, als der Präsident erklärte, dass die Sitzung geschlossen ist. Damit waren die Beschlüsse rechtskräftig." Die beurteilte er ebenfalls positiv: "Wir sind einer der Nutznießer. Es gab aber keinen Königsweg, der allen gerecht geworden wäre. Dies war der Weg der größtmöglichen Gerechtigkeit, es war der sinnvollste der Vorschläge."
Morgens sei er noch sehr ruhig gewesen, erzählte Bastian Fuhrken, 2. Vorsitzender und Leiter Leistungsfußball. Das änderte sich mit Beginn der Videokonferenz allerdings schlagartig: "Er war genau wie bei einem Spiel." Das lag vor allem daran, dass der erste Antrag auf der Tagesordnung nicht der des NFV-Führungsgremiums war. NFV-Justiziar Steffen Heyerhorst erläuterte in der Mitteilung des Verbands, dass laut der Geschäftsordnung zunächst über den weitestgehendsten Antrag zu entscheiden ist, wenn mehrere Anträge zu einem Tagungsordnungspunkt vorliegen. Das war am Samstag der des FC Dynamo Lüneburg, der eine Annullierung des Spieljahres 2019/20 beinhaltete. Es hätte also weder Auf- noch Absteiger gegeben. Mit 275 Stimmen (94,8 Prozent) sprachen sich die Delegierten gegen eine Annullierung aus. Als nächstes folgte der NFV-Antrag, der eine Mehrheit fand. "Acht Jahre harte Arbeit zahlen sich aus. Ein unglaublicher Traum wird wahr", schwärmte Fuhrken. Er freue sich für unglaublich viele Leute, natürlich zuerst für die Mannschaft: "Wir haben charakterlich eine geile Truppe." Er sei allen sehr dankbar, die den Erfolg möglich gemacht haben. Das seien auch ehemalige Spieler, Trainer und Vorstandsmitglieder.
Viel Zeit, die Freude über den Aufstieg zu genießen, haben der ehrenamtliche Atlas-Vorstand und alle, die ihn unterstützen, nicht. Es warte viel Arbeit, bestätigte Engelbart. Sie sei natürlich schon aufgenommen worden, werde fortan aber deutlich intensiviert. Die wohl wichtigste Aufgabe ist es, das Stadion regionalligatauglich zu machen. Dazu ist bis zum 22. August Zeit, besagen die Auflagen des norddeutschen Verbands bei der Lizenzerteilung. "Das ist nicht einfach", erklärte Engelbart. Gespräche unter anderem mit Handwerkern laufen. Der Stadtrat hatte vor etwas mehr als zwei Wochen dafür votiert, dass die Stadt 250.000 Euro investieren wird. Ein Gästekäfig und eine Spielfeldbegrenzung sollen errichtet werden, die in den Besitz der Stadt übergehen. Weil Atlas die Arbeiten durchführen lässt, umgeht man eine europaweite Ausschreibung, was angesichts der Frist entscheidend ist und nebenbei Geld spart. "Die Bereitschaft, uns zu helfen ist riesengroß", freute sich der 1. Vorsitzende: "Wir sind guten Mutes." Das gelte auch für die Planung des Kaders. In dem stehen durch die Zusagen von Dimitios Ferfelis, Olivér Schindler und Luca Liske bereits drei Neuzugänge fest.