Es gibt eine kleine Randsportart, die sich in jüngerer Vergangenheit in Fußballerkreisen wachsender Beliebtheit erfreut hat – nicht ganz zufällig vor allem in Delmenhorst und meistens, wenn der Winter kommt. Dieses ebenso regionale wie saisonale Phänomen könnte man Sich-in-Rage-reden nennen – denn genau das tun viele Delmenhorster Spieler, wenn ihnen wieder klar wird, dass es in dieser Stadt noch immer keinen bespielbaren Kunstrasenplatz gibt. Und dass man damit unter den Städten und Kreisen im Norden ziemlich allein da steht.
Üblicherweise folgte auf das Sich-in-Rage-reden der Fußballer bisher allerdings das Achselzucken der Politik. Der Ausschuss für Bildung, Wissenschaft, Sport und Kultur hat sich schon etliche Male mit dem Thema befasst und ist es bisher doch nicht angegangen – wie übrigens noch kein größeres Sportprojekt in den bisher 18 Sitzungen. Wer die versammelten Delmenhorster Fußball-Funktionäre am Dienstag erlebte, bekam allerdings den Eindruck, dass sich das bald ändern könnte. Auf Antrag von FDP-Ratsherr Murat Kalmis wird im Ausschuss am Donnerstag, 20 Juni (17 Uhr), über die Errichtung eines Kunstrasenplatzes auf einer der ausschließlich städtischen Anlagen abgestimmt, zu einem cleveren Zeitpunkt. Zuletzt verbreitete eine Gruppe aus allen zwölf Delmenhorster Fußball-Vereinen ein sechsseitiges Papier, in dem Fragen zu Material, Kosten, Nutzung, Umweltaspekten und Finanzierung beantwortet werden.
Am Dienstagabend bat man dann zur weiteren Klärung in den Presseraum des Stadions an der Düsternortstraße, deren Nebenplätze als Kunstrasenstandort im Spiel sind. Die Stimmung war beides: zuversichtlich und wild entschlossen. „Wir glauben nicht, dass die Politik der Totengräber des Delmenhorster Fußballs sein will. Sondern lieber der Retter“, sagte zum Beispiel Abteilungsleiter Marco Castiglione vom TV Jahn und brachte mit seinen Kollegen bekannte, aber auch neue Argumente vor. Sei Kunstrasen im Unterhalt günstiger als Naturrasen. Denis Lubrich aus der Abteilungsleitung des TuS Heidkrug fügte hinzu: „Wenn mehr Fußballer im Winter draußen trainieren, werden auch Hallenzeiten frei.“ Alle Vereine klagten über Abgänge wegen fehlender Trainingsmöglichkeiten im Winter und bemängelten die fehlende Wertschätzung des Sports bei der Stadt.
Die vereinte Delmenhorster Fußball-Familie präsentierte auch einen Weg, wie sich die Clubs an den Kosten von geschätzten 800 000 Euro beteiligen können: Ginge die Stadt mit dem Bau in Vorleistung – verteilt auf die Haushalte 2020 und 2021 –, würden die Vereine ihren Anteil von 200 000 bis 250 000 Euro über eine Nutzungsgebühr von 20 Euro pro Trainingseinheit praktisch abbezahlen. Bis zu 20 000 Euro sollten pro Jahr damit zusammenkommen, wie Castiglione vorrechnete.
Es lag so viel Optimismus in der Luft wie selten in dieser Debatte. Die Vereine haben mit den meisten Rats-Fraktionen Gespräche geführt, um Unklarheiten auszuräumen und „die Politik abzuholen“, wie Jürgen Schulenberg vom Delmenhorster TB das beschrieb, was man auch Lobbyarbeit nennen kann: „Es gab positive Reaktionen. Manche haben eingeräumt, dass sie vieles gar nicht wussten.“ Castiglione sprach für alle, als er sagte: „Der Ausschuss sollte den Startschuss geben.“