Man hatte sich viel Mühe gegeben am Montagabend, das musste man dem Niedersächsischen Fußball-Verband wahrlich lassen. Zur Pressekonferenz vor dem Niedersachsenpokal-Finale der Amateure am Samstag in Hannover gab es im Riva ein kleines Büffet, ausreichend kühle Getränke und einen Medienauflauf, den Delmenhorst auch nicht jede Woche erlebt. Selbst der NDR war gekommen, um den Start in die Endspielwoche zumindest im Ton festzuhalten. Nur für die beiden Abgesandten des SV Atlas auf dem Podium schien es fast schon etwas zu viel Brimborium zu sein: Trainer Daniel von Seggern und Kapitän Nick Köster wirkten nicht direkt schüchtern – aber doch zumindest so, als würden sie lieber schon auf dem Platz stehen. Und das größte Spiel der Vereinsgeschichte des 2012 (wieder-)gegründeten Vereins sofort austragen, statt nur darüber zu reden.
Ab 14.15 Uhr trifft Atlas im Eilenriedestadion von Hannover auf den TuS Bersenbrück, die Oberligisten tragen dann nicht nur das Finale im neu geschaffenen Landespokal der Amateure aus, die spielen auch um einen Platz im DFB-Pokal und damit um TV-Einnahmen im sechsstelligen Bereich. Das Spiel wird als Teil des vom DFB so offensiv vermarkteten „Finaltags der Amateure“ in einer Konferenz in der ARD übertragen. Für fast alle Beteiligten ist es bisher das Spiel des Lebens, was man vor allem den Delmenhorstern anmerkte. „Man wird von den Fans ja ständig darauf angesprochen“, berichtete Köster. Schließlich, erklärte Jungcoach von Seggern sei es „die Krönung in der Entwicklung unseres Vereins, das Highlight überhaupt“.
Auf Bersenbrück trifft das genauso zu. Trainer-Veteran Farhat Dahech berichtete, dass man zu seiner Anfangszeit vor fast fünf Jahren „das Trainingsmaterial mit der Taschenlampe suchen musste“. Schon jetzt „haben wir etwas erreicht, was diesem Club niemand zugetraut hätte. Wenn wir gewinnen, dürfen wir uns vielleicht ja ins Goldene Buch von Bersenbrück eintragen.“ Auf die Frage, ob es dort denn einen Balkon zum Feiern gäbe, antwortete Dahech: „Den bauen wir uns dann schon.“
Überhaupt war der Bersenbrücker Coach an diesem Abend für die Unterhaltung zuständig. Nervös sei er überhaupt nicht, versicherte er: „Nach 30 Jahren in diesem Job kribbelt bei mir nichts mehr.“ Als sein Kapitän Mark Flottemesch berichtete, dass sich der Mannschaftsrat auf eine Prämie für den Pokalsieg geeinigt habe, winkte Dahech müde ab: „Ich brauche keine Prämie. Ich habe genug Geld.“
In der lockeren Runde wurde auch klar, dass dieses Finale auch das Duell der Generationen an der Seitenlinie wird. Während Dahech seit drei Jahrzehnten auf hohem Niveau Trainer ist, ist von Seggern in seinem ersten Jahr – und trainiert eigentlich nur die zweite Mannschaft in der Kreisliga. Nach der Entlassung von Olaf Blancke ist es seine zweite Amtszeit als Feuerwehrmann im Oberliga-Team – das er nun in das so wichtige Finale führt. Der 33-Jährige hat bisher noch keine Startelf, sondern „nur den Kader im Kopf – und das reicht“. Dahech sagte derweil, seine Anfangsformation stehe bereits „zu 90 Prozent“. Von Seggern bekannte, dass die Trainingswoche „natürlich noch intensiver wird als sonst“. Dahech verkündete dagegen trocken: „Bei uns wird alles normal sein. Dreimal Training wie immer.“
Die letzte Einheit wird am späten Freitagnachmittag schon im Eilenriedestadion stattfinden. Die Delmenhorster, die ihr Hotel direkt neben der Arena beziehen, trainieren vorher ab 15 Uhr. Dann werden die Ränge noch ziemlich leer sein, am Samstag wird sich das natürlich ändern. Rund 1700 Karten sind bisher im Vorverkauf abgesetzt worden, wie NFV-Sprecher Manfred Finger erklärte; allein aus Delmenhorst werden mindestens neun Busse anreisen. Es werden wohl mehr als 1000 Atlas-Fans im 2500 Zuschauer fassenden Stadion sein.
Der Medienrummel wird ebenfalls enorm. Allein die ARD wird laut Finger mit acht Kameras und 40 Mitarbeitern da sein. Die Partie teilt sich die Konferenz mit den Finals aus Bayern, Brandenburg, dem Rheinland, Sachsen, Westfalen und Württemberg. Mit dem SSV Ulm (gegen den TSV Essingen) und Energie Cottbus (in Rathenow) spielen zwei Ex-Erstligisten zeitgleich. Insgesamt enthält der Finaltag, dessen Logo auch auf die Trikotärmel aufgenäht ist, 19 Endspiele. „Für die ARD ist es ein Aufwand wie zu Olympia“, meinte Finger.
In Hannover ist Atlas als Zehnter der Abschlusstabelle leichter Außenseiter gegen den Fünften Bersenbrück, den ersten Nadelstich setzten aber die Blau-Gelben – an der Konsole. Um nebenbei das neue Projekt eSports zu bewerben, ließ der NFV je zwei Spieler beider Teams das Finale an der Playstation 4 nachspielen. Torwart Florian Urbainski und Dauerbrenner Kevin Radke trafen auf die Bersenbrücker Sandro Heskamp und Max Tolischus – um die Vereinsfarben authentisch zu halten, spielte Delmenhorst mit Eintracht Braunschweig und Bersenbrück mit dem Halleschen FC. Atlas zeigte, wie es am Samstag gehen könnte: Trotz weniger Ballbesitz und 7:12 Torschüssen gingen die Delmenhorster unter dem Gejohle der Atlas-Fans und des Vorstands mit 2:0 in Führung, kassierten dann das 2:2, siegten aber letztlich nach Elfmeterschießen mit 5:4. Keeper Urbainski, der im Halbfinale gegen den 1. FC Wunstorf drei Strafstöße gehalten hatte, bemerkte danach: „Musste ich es wieder richten.“
1990 standen die Bersenbrücker zum ersten Mal im DFB-Pokal. Am 4. August empfing die Mannschaft von Trainer Klaus Berger den Zweitligisten Hannover 96 im Hasestadion. Bei 40 Grad und praller Sonne verloren die Nordkreisler um Torhüter Hubert Wessel und Libero Bernd Sander vor 3500 Zuschauern das Spiel zwar mit 0:4, gewannen jedoch viele Sympathien.
Nach 0:1-Pausenrückstand durch das Tor von Martin Groth (8.) kassierte der TuS weitere Gegentreffer durch Groth (67.) und dem zweiten Doppeltorschützen Patrick Grün (82./83.). Das deutliche Ergebnis trübte die Stimmung aber nicht. „Wir sind genauso weit gekommen wie Bayern München“, sagte Sander, der das Ausscheiden der Münchner beim TSV Vestenbergsreuth mit einem humorvollen Spruch kommentierte.
In der Gegenwart hält nicht mehr Wessel den Kasten sauber, sondern Christoph Bollmann. Und Abwehrchef ist nicht mehr Sander, sondern Marc Flottemesch. Für den 28-jährigen Kapitän ist das Spiel gegen Delmenhorst das erste Pokalfinale. „Das wird schon der größte Tag in meiner Karriere. In Bersenbrück sind wir sonst froh, wenn wir überhaupt mal die erste Runde überstehen“, sagt der Innenverteidiger vor dem Duell gegen den Konkurrenten aus der Oberliga.
Dort hatte Bersenbrück das Hinspiel 1:2 verloren. Im Rückspiel holte die Mannschaft von Coach Farhat Dahech ein 2:2. „Es wird ein anderes Spiel“, sagte der TuS-Trainer bei der Pressekonferenz in Delmenhorst. Bei Dahech waren ein paar Tage vor dem Endspiel keine Anzeichen von Nervosität zu spüren. „Ich mache den Job seit 30 Jahren. Bei mir kribbelt es nicht mehr. Was wir in Bersenbrück erreicht haben, ist sensationell. Als ich hier angefangen habe, mussten wir das Trainingsmaterial mit der Taschenlampe suchen. Wir haben jetzt schon etwas geschafft, was uns niemand zugetraut hätte.“