Bastian, zehn Jahre SV Atlas Delmenhorst. Viele graue Haare bekommen mit der Zeit?
Viele graue Haare habe ich noch nicht, aber es sind deutlich weniger geworden, mit grauen Haaren hätte ich allerdings besser leben können. In den zehn Jahren gab es viele emotionale Momente, bei denen ich mir an den Kopf gefasst und dabei wahrscheinlich das ein oder andere Haar verloren habe. Die 10 Jahre waren sehr anstrengend, viele haben uns den Vogel gezeigt, denen möchte ich danken, da es meine größte Motivation war es denen zu zeigen, dass es geht. Die zehn Jahre verbinde ich auch mit vielen schönen Momenten, durch den Verein habe ich beispielsweise sehr viele Personen kennengelernt, mein Netzwerk habe ich dem Verein zu verdanken, wie auch teilweise meinen beruflichen Werdegang. Ein Netzwerk, das der Verein mit sich bringt. Aber es gibt auch die Schattenseite, körperlich und mental bin ich an meine Grenzen gekommen, es hat einige Opfer gekostet, das habe ich nicht vergessen. Licht und Schatten, teilweise war es auch sehr stürmisch, passt somit zum Norden und zu unserer Stadt.
Das erste große Ziel Landesliga, das von vielen Seiten belächelt wurde, ist schnell erreicht und durchschritten worden. Selbst in den kühnsten Träumen je an Regionalliga gedacht?
Es war das erste Ziel bzw. die Nummer eins in unserer Stadt zu sein, war unser großes Ziel. Ziele müssen realistisch sein, Ziele müssen immer wieder überprüft werden und vor allem muss es einen Weg geben, Ziele zu erreichen. Stärke zeigt sich in den Momenten, wo wir erkannt haben, dass wir unser Ziel nicht erreichen können und ein Umdenken gefragt ist, an den Stellschrauben zu drehen und nachzujustieren, um ein neues Ziel vor Augen zu haben. Ziele sind für mich sehr wichtig und begleiten mich im Verein jeden Tag.
Ein kleines Beispiel: In der diesjährigen Qualifikationsrunde haben wir mit der Regionalligamannschaft mehrere Etappenziele vereinbart, über allem stand die Aufstiegsrunde und das Ergebnis kennt jeder. Auch in den vergangenen Jahren wurden immer Ziele vereinbart, auch über den Weg, der zum Ziel mit sämtlichen Hindernissen führt, muss gesprochen werden.
Wann ist aus dem Projekt SV Atlas der kräftige Verein SV Atlas geworden?
Das ist schwer zu sagen, wahrscheinlich war es ein längerer Prozess, begonnen vermutlich nach dem großen Finale in Wildeshausen, wo wir alle gesehen haben was in unserer Region möglich ist, obwohl wir am Boden lagen. In der zweiten Saison in der Bezirksliga, sowie in der Landesliga, haben wir uns als Verein enorm entwickelt, gute Entscheidungen wurden getroffen und das alles dann in einer Dokumentation festgehalten. Das sind Erinnerungen, die für immer bleiben. Ich habe aber auch in der Landesliga nicht von der Regionalliga geträumt, sondern denke immer an die nächste Liga und vergesse dabei nie wo wir herkommen. Auch die Zeiten in der Oberliga haben den Verein und die Personen, die hinter dem Verein stehen, auf ein neues Level befördert. Ich kann nicht alle Personen nennen bei denen ich mich bedanken würde, aber Manfred Engelbart und Jörg Borkus haben den Verein entscheidend geprägt. Wir haben einen Vorstand, der sich nur mit dem Thema Fußball und mit der Entwicklung beschäftigt, ich habe vor jeder Sportart Respekt, aber erfolgreich sind wir auch, weil wir nur eine Abteilung haben. Vielleicht ist es auch die Unterstützung aus dem Umfeld, die den Verein sofort bekräftigt hat. Sponsoren und das hohe Zuschaueraufkommen bei unseren Heimspielen spielen da ebenfalls eine große Rolle.
Du bist seit 10 Jahren nah an der Mannschaft dran und als sportlicher Leiter verantwortlich. Was hast du in diesen Jahren besonders schmerzlich gelernt?
Es gibt viele Personen, die halten direkt die Hand auf. Ehrenamtliche Arbeit, Identifikation mit einem Verein und mit der Stadt ist für viele eine Unbekannte. Dankbarkeit den Ehrenamtlichen gegenüber, die immer wieder Dinge erledigen, die keiner sieht, die aber überlebenswichtig sind damit der Verein betrieben werden kann, die gibt es oftmals nicht. Damit meine ich nicht meine Arbeit im Verein, durch meine Position und meinen Einsatz stehe ich oft im Vordergrund, was mir teilweise unangenehm ist. Für mich könnte die ehrenamtliche Unterstützung in sämtlichen Vereinen oder anderen Einrichtungen mehr gefördert werden, ansonsten bekommen Städte und Gemeinden irgendwann große Probleme, denn woher soll das Geld kommen, um diese wichtigen Aufgaben zu bezahlen. Was mir immer schwer fallen wird, sind Verkündungen bzw. Entscheidungen, die eine Person direkt betreffen, wie beispielsweise nicht verlängerte Verträge oder sogar vorzeitige Vertragsauflösungen. Ich bin ein familiärer Typ, der gerne mit einer Gemeinschaft zusammenarbeitet oder Zeit verbringt Leider mussten wir in den vergangenen Jahren Entscheidungen treffen, die nicht allen gefallen. Mir fällt es, egal ob im Verein oder in meiner Firma, unglaublich schwer, denn ich schätze jeden, habe Respekt und möchte ebenso behandelt werden. Über allem steht nun mal der Verein, das muss jedem bewusst sein.
Die Durchführung eines Spieltages erfordert viele helfende Hände und Einsatz. Neben einem schönen Spiel wünscht du dir ein großes Publikum. Nervt dich der aktuelle Zuschauerschnitt bei den Heimspielen?
Heimspiele sind meine Motivation, das habe ich schon oft gesagt. Leider hat diese Motivation unter Corona stark gelitten und das geht wahrscheinlich vielen so. Corona hat das Miteinander in einem Verein und in einer Mannschaft stark verändert und hoffentlich ändert es sich auch wieder, ansonsten wird es sehr schwierig sein, ein Vereinsleben zu genießen und sich immer wieder zu motivieren. Die helfenden Hände am Spieltag, aber auch in den Tagen vor einem Spieltag sind überlebenswichtig und mit Geld nicht zu bezahlen, das sage ich auch immer unseren Spielern. Ohne diese Unterstützung und auch den Personen, die dem Verein in der Vergangenheit geholfen haben, würden wir nicht so erfolgreich sein. Ich bin jedem Ehrenamtlichen unendlich dankbar, auch meine Familie ist seit der Gründung dabei, was nicht selbstverständlich ist. Bei uns gibt es auch mal Kaffee und Kuchen, am liebsten ist uns aber Bratwurst und ein kühles Bier am Spielfeldrand.
Die Stadt Delmenhorst hat Geld bereit gestellt, damit das Stadion weitestgehend Regionalliga-tauglich ist. Wird man höhere Ziele mit diesem Stadion erreichen können?
Mit dem jetzigen Zustand definitiv nicht, unser Stadion ist auf dem Papier Regionalliga-tauglich, aber hinter den Kulissen sind wir in der Bezirksliga / Landesliga stehengeblieben, was mich Tag für Tag enorm ärgert. Die Bedingungen rund um unser Stadion und damit meine ich alles, von den Toiletten unter der Tribüne, Umkleidekabinen, Auswechselbänke, Bodenbeläge bis hin zu den Trainingsbedingungen rauben mir die meiste Motivation und das wird langsam gefährlich.
Zur Entwicklung gehörten auch Verantwortliche, die zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle waren. Bleibt dem Verein dieses Glück in Zukunft weiterhin hold?
Das ist enorm schwierig und in den letzten zehn Jahren waren viele Personen zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Es hat aber auch die Schattenseite gegeben, was vielen nicht aufgefallen ist, da wir trotzdem erfolgreich waren. Der Verein ist gewachsen und wenn wir uns weiterhin sportlich verbessern möchten, damit meine ich alle Mannschaften und Bereiche im Verein, dann müssen wir uns breiter auf- oder auf hauptamtliche Mitarbeiter umstellen. So ist es aktuell grenzwertig, sehr wackelig und zudem ein enormes Pensum.
Du hast das alte Stadion an der Lohmühle in dich aufgesaugt. Vermisst du trotzdem machmal den Charme des Kreisfußballs aus den Anfangszeiten, als man auf schiefen Plätzen ohne Tribünen spielte und hohe Rückennummern, wilde Frisuren und dicke Torwarte das Bild bei sehr günstigen Preisen für Eintritt, Bratwurst und Bier prägten?
Ich vermisse es nicht, da ich jede Woche in der Region unterwegs bin und somit viele Spiele von der Kreisliga bis Oberliga sehe. Meine Wertschätzung gegenüber den Ligen ist eher gewachsen, auch wenn die Qualität nachgelassen hat, da wir in unserer Gesellschaft ein erhebliches Problem hätten, wenn es die Hobby- und Amateurmannschaften nicht geben würde.
Natürlich erinnere ich mich sehr gerne an die Zeiten in der Bezirksliga zurück, wenn wir unseren Bierwagen geplündert und völlig unbeschwert einen durch den Tisch getreten haben. Auswärtsspiele in unserer Region waren immer ein Erlebnis, aber das sind sie auch in der Regionalliga.
Sicherlich schwer zu beantworten bei den vielen Highlights. Wenn du dich festlegen solltest, was ist dein persönliches Hightlight mit dem SV Atlas Delmenhorst?
Das eine Highlight gibt es nicht, wenn ich es nennen müsste, dann würde ich die Gründung wählen, denn ohne die erneute Gründung vom Verein hätte es die letzten zehn Jahre nicht gegeben. Keine Ahnung, was ich dann heute machen würde und wahrscheinlich würde mein Leben ganz anders aussehen. Auch beruflich habe ich mich durch den Verein verändert und entwickelt. Wir haben eigentlich in jedem Jahr ein Highlight erleben dürfen, Aufstiege, Derbys gegen Ganderkesee, Wildeshausen, Emden und jetzt Oldenburg sind etwas Besonderes, sportlich war es für mich der Pokalgewinn in Hannover. Einen Tag vorher anreisen, Abschlusstraining im Stadion, gemeinsames Miteinander, im Trainerteam bis spät in die Nacht (wir waren durstig) zusammen sitzen, nächsten Tag den grandiosen Sieg gegen Bersenbrück feiern und dann die Rückfahrt, das war alles sensationell und ist unvergesslich. Wir waren mit dem ganzen Vorstand in Hannover, damals war mein Vater noch im Vorstand und somit war auch meine Mutter das ganze Wochenende dabei. Das sind solche Momente, die genieße ich. Am Abend zuvor standen wir mit dem Trainerteam in der Kabine, haben nochmal alles durchgesprochen, Daniel von Seggern und Marco Büsing haben zudem mit mir über den Kader und die Aufstellung gesprochen, hinter uns saß der Vorstand mit den Frauen, also auch meine Mutter und hat zugehört, die Kiste Bier stand in der Mitte, für mich ein sehr schöner Moment. Ich könnte von vielen weiteren geilen Momenten berichten, zudem gibt es dazu dann auch immer eine Geschichte hinter den Kulissen, was den Moment dann besonders macht.
Natürlich war das Spiel im Weserstadion grandios, das Erlebnis unfassbar, aber es war auch unglaublich viel Arbeit, von der der Verein heute noch profitiert.
Du hast deine Firma nach Delmenhorst verlegt, investierst viel Zeit und teilweise Geld in den Verein und bist ein echter Delmenhorster Junge. Wie würdest du Ortsunkundigen die Stadt beschreiben und schmackhaft machen?
Um Delmenhorst zu verstehen, muss man sich mit den Menschen und den Gegebenheiten auseinandersetzten. Es ist keine Stadt, in der alles perfekt ist, aber genau das ist für mich ein Anreiz. Für mich ist nichts selbstverständlich und genau das passt zu unserer Stadt. Ich habe gelernt anzupacken, das habe ich meiner Familie zu verdanken und schon immer war Vereinsarbeit und Gemeinschaft in unserer Familie ein Thema. Wer eine fertige Stadt vorfinden möchte, der soll an unserer Stadt vorbeifahren und sich dann auch kein Urteil erlauben. Das Schönste für mich ist mitzuwirken, ein Teil zu sein und das beschreibt auch ganz gut unsere Stadt. Es ist nicht alles schön, aber wenn es positiv verrückte Personen gibt, egal welcher Herkunft, egal mit welchem finanziellen Hintergrund und egal mit welchem Interesse, dann ist es in der Stadt möglich, sich zu entfalten. Genau das hat unser Verein in den letzten zehn Jahren gezeigt. Nur zusammen können wir etwas erreichen, alleine ist jeder einzelne machtlos.
Was sind deine nächsten Ziele auf der Agenda?
Da gibt es einige Ziele auf der Agenda, sportlich ist es der Kader für die kommende Saison, der soll mit den gleichen finanziellen Mitteln besser werden, was eine große Herausforderung ist. Die Infrastruktur rund um unseren Verein soll optimiert werden, das beinhaltet die Trainingsbedingungen und auch die Vereinsführung sowie die ehrenamtliche Unterstützung im allgemeinen. Wir müssen als Verein noch mehr Unterstützer überzeugen, dazu gehören Sponsoren genauso wie jeder einzelne Zuschauer, der zu unseren Spielen kommt, sowie unsere Mitglieder. Alle zusammen sind unser Fundament.
Mit meiner Firma und den Kollegen möchte ich nicht nur eine neue Firma in der Stadt sein, ich möchte aktiv dabei sein den Standort Delmenhorst attraktiver zu machen und neben dem Platz Werbung für unsere Stadt betreiben.
Privat wünsche ich mir Zeit mit meiner Freundin und der Familie, die letzten beiden Jahre waren durch die Pandemie und dem Neubau meiner Firma sehr intensiv. Wenn ich mal erledigt oder ratlos bin, dann ist es die Familie und meine Freunde, die hinter einem stehen, die einen motivieren und helfen. Wer mich kennt, der weiß wie dankbar ich dafür bin.