Ein Bericht vom
von Daniel Niebuhr
Dirk Musiol ist lange genug Fußballer; er wusste genau, wer am Sonntag als erstes abgeklatscht gehörte – und zwar der Gegner. Als das Schützenfest vorbei war, ging der Trainer sofort zu den völlig erschöpften Spielern des KSV Hicretspor II und zollte ihnen seinen Respekt für einen Kraftakt, von dem das nackte Ergebnis gar nichts ahnen ließ. Mit 8:0 fertigte Musiols dritte Mannschaft des SV Atlas Delmenhorst den Stadtrivalen ab, was für Hicretspor noch schmeichelhaft war – allerdings hatte das Team auch nur elf Spieler zur Verfügung, einige davon nicht mehr im besten Fußball-Alter. „Da waren 50-Jährige bei, die sich voll reingeschmissen haben. Hut ab, wie sie bis zum Schluss gekämpft haben“, sagte Musiol. Er weiß ja am besten: Gegen seine Jungs zu spielen, macht gerade nicht immer viel Spaß.
Atlas III ist Tabellenführer der 3. Kreisklasse, was nach zwei Spielen nun wahrlich keine weltbewegende Nachricht ist, zumindest einen Prozess aber doch recht gut belegt: Die unterste Mannschaft des Regionalligisten ist so stark wie nie – weil sie so jung ist wie nie. Jahrelang war sie eine Art Legendenteam, in dem sich die verschiedensten Persönlichkeiten trafen, die dem Verein verbunden waren. Die Gründerväter und aktuellen Vorstandsmitglieder Bastian Fuhrken und Tammo Renken haben ebenso mal mitgekickt wie Edelfan Bülent Büyükbayram, Daniel Köhler aus dem Betreuerstab des Regionalliga-Teams und Daniel von Seggern, der als Trainer mit dem Club 2019 den Niedersachsenpokal gewann.
Während Erste und Zweite schon jeweils fünfmal aufgestiegen sind, konnte die Dritte mit erst einem Aufstieg nicht ganz folgen. Über die Jahre landeten dort etliche Spieler, die nach der Wiedergründung 2012 in der ersten Mannschaft gespielt hatten, die sich damals ebenfalls noch auf Kreisebene abmühte.
Nur wenige von ihnen sind noch da: Der 38-jährige Simon Puklicz zum Beispiel, der schon für den Atlas-Vorgängerverein Eintracht und 25 Mal für Atlas I aufgelaufen ist. Mit der Reserve gewann er ebenso den Kreispokal wie mit den Alten Herren. Jan Schreiber trug 2012/13 vier Treffer zum Zitteraufstieg von Atlas I in die Kreisliga bei, inzwischen wohnt er in Hamburg und reist an, wenn er kann – im ersten Spiel bei der SG Dötlingen/Huntlosen erzielte er den 4:2-Schlusspunkt. „Diese erfahrenen Leute brauchst du“, sagt Musiol.
Er selbst ist natürlich der größte Name bei Atlas III – wenn nicht im ganzen Verein. In den 80er- und 90er-Jahren spielte er für den alten SV Atlas in der Oberliga gegen den FC St. Pauli, Hannover 96 und Eintracht Braunschweig, beim neuen SV Atlas trainierte er schon die erste, die zweite und die A-Jugend-Mannschaft. „Wir können froh sein, ihn im Verein zu haben“, sagt Sportchef Fuhrken. Gegen Hicretspor stand jemand am Rand, der das bestätigen konnte: Stürmer Emiljano Mjeshtri aus dem Regionalliga-Kader, der aus Albanien nach Delmenhorst kam und noch immer bei Musiol wohnt.
Anders als früher hat der Trainer-Veteran in seinem stattlichen 24er-Kader inzwischen aber auch diverse junge Spieler, die für Kreisklassen-Verhältnisse schon beinahe übermotiviert sind. Als Musiol zu Beginn der Vorbereitung nur ein Training in der Woche in Aussicht stellte, bestand sein Team auf mindestens zwei Einheiten. „Es macht dermaßen Spaß“, sagt Musiol. Inzwischen kann man sich auch die eine oder andere Kampfansage erlauben; nachdem man seit dem Aufstieg in die 3. Kreisklasse 2019 nicht einmal eine Handvoll Spiele gewonnen hat, will Atlas III nun Meister werden. „Der Aufstieg muss drin sein“, sagt Musiol. Dafür hat er zweifellos genügend gute Spieler – nicht nur sein Sohn Julian könnte in einer ganz anderen Liga spielen. Bester Schütze ist bislang der beim TuS Heidkrug ausgebildete Youngster Leon Maurice von Husen mit fünf Treffern.
Vor zwei Wochen schaffte Atlas III schon etwas, das noch keiner dritten Mannschaft je gelungen ist: einen Sieg im Kreispokal. Nach dem 5:1 gegen die klassenhöhere Borussia, von der im Sommer Spieler zu Musiol gewechselt sind (unter anderem der vierfache Torschütze Alexander Ille), wartet man gespannt auf den nächsten Gegner. „Die Jungs schweben natürlich über allen Wolken, ich muss sie schon manchmal runterholen“, sagt der Coach. Für diesen Job ist er wohl besser geeignet als jeder andere.
Titelbild: Rolf Tobis