Dass nicht alle der überdimensionierten Biergläser den Rasen des Eilenriedestadions unversehrt verlassen würden, hat man sich beim Niedersächsischen Verband wohl schon gedacht – und hatte vorsichtshalber mehrere davon vor Ort. Daher musste Marvin Osei kein schlechtes Gewissen haben, als ihm seines im allgemeinen Trubel zu Bruch ging, der Stürmer des SV Atlas hätte es vermutlich ohnehin nur dazu benutzt, um einem seiner Teamkollegen den Inhalt über den Kopf zu gießen. Bierduschen waren in Hannover nach dem Delmenhorster Pokal-Triumph schließlich Volkssport Nummer eins. Es gab kaum einen in Blau-Gelb, der an diesem Nachmittag ungeschoren davon kam, Betreuer und Vorstandsmitglieder eingeschlossen.
Foto: Rolf TobisAtlas ließ es nach dem verdienten 3:2 (2:0) über den TuS Bersenbrück und dem historischen Niedersachsenpokalsieg mächtig krachen, was dem Anlass zweifellos angemessen war. Nach 38 Jahren schaffte es mit dem 2012 neu gegründeten Club wieder ein Delmenhorster Verein in den DFB-Pokal, was einige Verantwortliche zu Tränen rührte. Leistungsfußball-Chef und Gründervater Bastian Fuhrken wusste kaum, wohin mit seiner Freude: „Wir haben sieben Jahre dafür gearbeitet.“
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Die Erleichterung war auch deshalb so groß, weil kaum jemand mit einer solchen Leistung gerechnet hätte. Nach einer größtenteils missratenen Saison mit zwei Trainerwechseln und dem enttäuschenden zehnten Platz in der Oberliga feierte man ausgerechnet im wichtigsten Spiel der Vereinsgeschichte vor 1877 Zuschauern vor Ort (darunter mehr als 1000 aus Delmenhorst) und Hunderttausenden am Fernsehen eine kleine Wiederauferstehung. „Viele haben uns doch abgeschrieben. Es war schon eine Genugtuung“, sagte Interimstrainer Daniel von Seggern, der eigentlich die zweite Mannschaft in der Kreisliga trainiert. Neben ihm waren auch seine Vorgänger Jürgen Hahn und Olaf Blancke am Titelgewinn beteiligt.
Foto: Rolf TobisAtlas war vor allem unglaublich effizient und konnte sich auf die Führungsspieler verlassen. Die Innenverteidiger Leon Lingerski und Karlis Plendiskis waren kaum zu überwinden und warfen sich auch vorne in die Schlacht. Plendiskis bereitete nach einem Freistoß von Tom Schmidt das 1:0 in der 13. Minute vor, das Thade Hein aus kurzer Distanz erzielte. Beim 2:0 in der 40. Minute gewann Plendiskis ein Luftduell, seinen Kopfball ließ Bersenbrücks Keeper Christoph Bollmann abprallen – und erneut staubte Hein ab. Er verletzte sich kurz darauf und musste zur Pause raus.
Foto. Rolf TobisSeine Kollegen spielten weiter glänzend. Nach Pass von Thomas Mutlu flankte Patrick Degen in der 50. Minute von links genau auf den Kopf von Marco Prießner, der zum 3:0 einnickte. Bersenbrück kam in der 63. Minute durch einen abgefälschten Freistoß von Aaron Goldmann heran und schaffte in der 87. Minute sogar den Anschluss – wieder durch Goldmann. Doch Atlas stand gut genug, um den Sieg über die Zeit zu bringen. „Das ist ein unbeschreiblich geiles Gefühl. Mehr geht nicht“, jubelte Hein, der auch in der Liga gegen Bersenbrück getroffen und in der Vorsaison schon einmal ein Endspiel gewonnen hatte – mit Atlas II im Kreispokal.
Hein war allerdings nicht die einzige große Geschichte, die dieses Spiel hervorbrachte. Von Anfang an stand mit Kevin Radke ein Spieler auf dem Platz, der mit Atlas einst in der 1. Kreisklasse kickte und den kompletten Weg bis in die Oberliga und den DFB-Pokal mitgegangen ist. „Das war ein langer und steiniger Weg mit Höhen und Tiefen. Ich bin heute einfach nur stolz auf die Mannschaft“, sagte der Rechtsverteidiger, der weiter im Verein bleibt. „Wir waren heute gut organisiert. Aber fünf Minuten länger, und es hätte Elfmeterschießen gegeben.“
Foto: Rolf TobisEin anderer Held war Offensivmann Degen, der die Bersenbrücker Abwehr in seinem letzten Spiel für Atlas mit seiner typischen Schlitzohrigkeit nervte und den dritten Treffer traumhaft vorbereitete. Wie Prießner, der das schmucke Eilenriedestadion am liebsten „ausgebuddelt, eingepackt und mit nach Delmenhorst genommen“ hätte, schwärmte er von der großartigen Atmosphäre: „Es war überragend.“ Durch seinen Wechsel zum Bezirksligisten Frisia Wilhelmshaven verpasst er nun das DFB-Pokal-Spiel im August. „Das ist schade. Ein Pokalsieg ist aber der perfekte Abschied.“ Das fand auch Co-Trainer Marco Büsing, der als Chefcoach Blau-Weiß Bümmerstede übernimmt: „Mein Puls war nicht so hoch. Ich hatte ein gutes Gefühl.“
Während Atlas die Party dann vom Rasen in die Kabine, in den Bus, dann in die Vereinskneipe Jan Harpstedt und am Sonntagmorgen zum Saisonabschluss zur Kartonage nach Hasbergen verlegte, versank der Gegner in Trauer. „Es ist schade für uns und für Bersenbrück, aber wir waren selbst schuld“, haderte Trainer Farhat Dahech. Die Mannschaft wurde trotzdem noch am Samstagabend von Fans auf dem Bersenbrücker Marktplatz empfangen.