Ein Bericht vom
von Lennart Bonk
Fußball kann manchmal so einfach sein. Den Eindruck gewinnt man zumindest, wenn Dominik Entelmann darüber fachsimpelt. Für das Toreschießen – die Kernkompetenz der Clublegende des SV Atlas Delmenhorst – lautet sein Erfolgsrezept: „Nicht nachdenken. Sobald Stürmer überlegen, was sie machen sollen und sich dann in der Situation umentscheiden, ist das ganz oft fatal.“ Der 38-jährige Sturm-Routinier weiß, wovon er redet. In der abgebrochenen Bezirksliga-Saison erzielte er in den zwei ausgetragenen Ligaspielen der Atlas-Reserve einen Doppel- und einen Dreierpack.
Kaum verwunderlich, dass er in Sachen Toreschießen bei den Blau-Gelben der Rekordhalter ist. In der Kreisligasaison 2013 ist er dazugestoßen und hat seither 128 Mal getroffen. Seit der Wiedergründung des SV Atlas hat er etwa jedes fünfte Tor des Vereins erzielt, ist also ein geeigneter Gesprächspartner, um über eine Entwicklung im Amateurfußball zu sprechen, die den Torerfolg betrifft. Von der Bezirksliga aufwärts schießen die Mannschaften im Durchschnitt immer weniger Tore (Siehe Grafik). Das zeigt eine Datenanalyse dieser Zeitung. Entelmann hat Atlas‘ Weg von der Kreis- bis in die Regionalliga miterlebt. Er erklärt aus der Sicht eines Stürmers, wie sich die Spielweise in den einzelnen Ligen verändert.
Der Grund für den sinkenden Torerfolg mit jedem Aufstieg liegt zugegebenermaßen auf der Hand: Je näher die Spielklasse den professionellen Ligen ist, desto besser ist die taktische Ausbildung. Doch woran genau merken die Stürmer das auf dem Platz? Entelmann nennt die erste taktische Auffälligkeit: „Die Spielzonen sind anders. In der Kreisliga steht man als Stürmer zu 80 Prozent vorne drin oder in der Box. Je höher man spielt, desto mehr Spielzonen hat man.“
Gegen Atlas verteidigen die Gegner schon seit Kreisklassen-Zeiten tief. Aber auch bis in die Landesliga-Saison hinein hatten die Delmenhorster oft weit zurückgezogene Abwehrreihen vor sich. Allerdings ist die Staffelung in den höheren Ligen in der Defensive noch engmaschiger, wodurch es noch schwieriger wird, ein Tor zu erzielen. „Die Gegner in den höheren Ligen passen besser darauf auf, dass sie sich kein Tor fangen. Sie versuchen aus den drei, vier Chancen, die sie haben, ein, zwei zu verwerten“, sagt Entelmann und betont: „Das ist einfach nicht mehr so ein Hauruck-Fußball wie in den unteren Ligen. Die Spielzüge sind einstudierter. Tore sind in den höheren Ligen selten Zufallsprodukte.“
Mit jedem Aufstieg hat sich auch die Spielweise des SV Atlas verändert. Waren die Stürmer in der Kreisliga die meiste Zeit in der Nähe des Strafraums, wanderten sie ab der Landesliga weiter gen Mittelfeld. „Wenn man selber tiefer steht und dann mehr Mittelfeldpressing macht, setzt man hauptsächlich auf schnelle Stürmer und das Spiel über die Außenbahnen. Das hast du in den unteren Ligen halt weniger. Da spielst du mehr durch das Zentrum und dadurch, dass du sowieso weiter vorne stehst, hast du auch mehr Strafraumszenen als Stürmer“, erklärt die Tormaschine einen weiteren Wandel im Spiel.
Diese taktische Veränderung auf dem Feld wirkt sich dementsprechend auf die Statistiken aus. Der SV Atlas Delmenhorst ist innerhalb von neun Saisons fünfmal aufgestiegen. Fast immer hat die Mannschaft in der neuen Spielklasse weniger Treffer erzielt als in der vorherigen Spielklasse (siehe Grafik).
Der Ausreißer in der Saison 2015/2016 ist leicht erklärbar. In der vorangegangenen Spielzeit verpassten die Delmenhorster den Aufstieg in einem dramatischen Saisonfinale beim VfL Wildeshausen knapp. Als Reaktion darauf rüstete der Verein zur neuen Spielzeit seinen Kader mit Spielern auf, die bereits höherklassig gespielt hatten. Mit der versierten Verstärkung spielte der SVA seine bisher erfolgreichste Saison seit der Wiedergründung im Jahr 2012. „Wenn du ein paar Spieler hast, die auch mal ein Spiel entscheiden können, ist es natürlich schwerer für den Gegner auszumachen, wen du deckst oder doppelst“, erklärt Entelmann die Rekordsaison.
Stichwort Spieler, die den Unterschied machen: Nicht nur die taktische und technische Ausbildung wird in den höheren Ligen wichtig, sondern auch deren Athletik. „Schnelligkeit, Spritzigkeit, Wendigkeit: Je höher man spielt, desto entscheidender werden diese Eigenschaften. Die Abwehrspieler sind meistens nicht nur groß und zweikampfstark, sondern meistens auch noch sehr agil. In den unteren Ligen ist das was anderes, weil es mehr Freizeitsport ist“, sagt Entelmann.
Talent, Taktik und Athletik – die Dreifaltigkeit des erfolgreichen Fußballs wird ergänzt um den Faktor Erfahrung. Diesen Punkt macht der Sturm-Veteran bei den „um Welten besseren Torhütern“ in den höheren Ligen aus: „Die Keeper achten darauf, wie der Stürmer aus welchen Positionen schießen kann. Die wissen zum Beispiel ganz genau, wie sie den Winkel verkürzen müssen, wenn ich aus einem spitzeren Winkel auf das Tor zulaufe. Da gibt es nur noch wenige Möglichkeiten, wo ich den Ball hinschießen kann. Erfahrung spielt da eine große Rolle.“
Die kommt auch beim Thema Fairness ins Spiel. Mit jedem Aufstieg wird der Amateurfußball – gemessen an den Fairnesswerten – auch unfairer. Auf Atlas trifft diese Entwicklung nur zum Teil zu (siehe Grafik). Die beiden Bezirksliga-Spielzeiten waren beispielsweise fairer als die Saison in der zweitunfairsten Kreisliga Niedersachsens (im vergangenen Jahrzehnt). Die letzte Oberliga-Saison und die jetzige Regionalliga-Spielzeit sind nicht wirklich aussagekräftig, weil sie nicht die komplette Saison abbilden.
Warum es allgemein mehr Karten in den oberen Spielklassen gibt? „Ich würde nicht sagen, dass es unfairer wird, sondern, dass es taktischer wird. Weil man in den höheren Ligen oftmals auch ein taktisches Foul zieht“, analysiert Entelmann. Doch auch hier spielt der Aspekt der Athletik seiner Meinung nach eine Rolle: „Die Fouls werden, übertrieben gesagt, auch ein bisschen brutaler, weil die Leute auch körperlich fitter sind. Wenn da zwei Bollwerke aufeinanderprallen, ist das natürlich auch ein bisschen was anderes.“ Die Tendenz, dass es im Laufe des vergangenen Jahrzehnts fairer geworden ist im leistungsorientierten Amateurfußball, macht er an Auflaufprämien und der Konkurrenzsituation im Kader fest. Wenn ein Spieler nicht spielt, bekommt er keine Prämien und kann außerdem sein Hobby nicht ausüben.
Mit seinen 38 Jahren spielt Entelmann für den Regionalliga-Kader keine Rolle mehr. „Das geht für mich von der Spritzigkeit gar nicht mehr. Priorität hat die Zweite und natürlich die Familie. Und in der Bezirksliga klappt es bei mir auch noch ganz gut. Zumindest in den wenigen Spielen, die wir gehabt haben, war alles gut“, sagt er mit Blick auf den Doppel- und Dreierpack aus der abgebrochenen Saison und lacht. Fußball kann manchmal so einfach sein. Zumindest, wenn man Dominik Entelmann heißt.
Titelbild: Rolf Tobis